Positionspapier von FDP und CDU zum Ostfeld
Präambel
Im Herbst 2020 beschloss die Stadtverordnetenversammlung auf dem Wiesbadener Ostfeld einen neuen Stadtteil zu planen. Mit dem Projekt wollte die Stadt mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen, neue Gewerbeflächen ausweisen und als verlässlicher Partner für die Entwicklung des Behördenstandortes sorgen.
Wiesbaden braucht das Ostfeld dringend: Das Institut für Wohnen und Umwelt prognostiziert, dass Wiesbaden bis 2040 32.500 neue Wohneinheiten benötigt werden. Derzeit entsteht jedoch jährlich nur knapp die Hälfte der benötigten Wohnungen. Der notwendige Zuwachs kann nicht allein durch Innenentwicklung und Nachverdichtung getragen werden – wir brauchen auch neue großflächige Baugebiete. Außerdem können auf dem Ostfeld Flächen für die Wiesbadener Wirtschaft und das Bundeskriminalamt geschaffen werden. Ohne eine zügige Realisierung des Ostfeldes droht eine Abwanderung des BKA und der wachsenden Unternehmen, u. a. nach Mainz mit seinen niedrigen Gewerbesteuersätzen und zahlreichen, neu ausgewiesenen Gewerbeflächen.
In der Kooperationsvereinbarung des Linksbündnisses wurde das Ostfeld aufgrund der zahlreichen Meinungsverschiedenheiten zwischen und auch innerhalb der Kooperationsparteien leider ausgeklammert. Bereits jetzt ist wertvolle Zeit verloren gegangen, nun gilt es, den Prozess in Siebenmeilenstiefeln fortzuführen.
Mit diesem Positionspapier machen CDU und FDP ein partei- und fraktionsübergreifendes Gesprächsangebot, um die Entwicklung des Ostfeldes voranzubringen und für eine größtmögliche Mehrheit für dieses Projekt in der Stadtverordnetenversammlung zu werben.
Die SEM Ostfeld durchläuft einen agilen Prozess, bei dem nach und nach Meilensteine erreicht werden. Gleichwohl bedarf es einer permanenten Steuerung und Lenkung. Korrigierende Eingriffe aufgrund neuer Entwicklungen, gesellschaftlicher Bedarfe oder technischen Fortschritts müssen in einem Projekt, das über 15 Jahre läuft, stets möglich sein.
Tatsächlich besteht von verschiedensten Seiten noch großer Klärungsbedarf zum Ostfeld, sei es die leider noch ungeklärte Zukunft der Landwirte, die Bedenken der Bewohnerinnen und Bewohner der Vororte wie Kastel oder Erbenheim, die Erreichbarkeit des Ostfeldes oder auch die finanziellen Belastungen, die mit dem Projekt einhergehen. Wir wünschen uns eine klare Positionierung der Linkskooperation zum Ostfeld, so dass ein breiter gesellschaftlicher Konsens möglich wird.
CDU und FDP stehen zum Ostfeld und bieten daher eine Zusammenarbeit über aktuell bestehende Bündnisse hinaus an. Eine solche Zusammenarbeit erscheint uns gerade im Hinblick auf die vielfältigen Zielkonflikte, die im Rahmen der Umsetzung des Projekts zweifelsohne bestehen, als notwendig und angezeigt. Es bestehen auf mehreren Ebenen verfestigte Vorbehalte gegen das Projekt, die es gilt gemeinsam auszuräumen und einen Kompromiss in der Umsetzung zu finden, der sicher nicht allen, aber den meisten Betroffenen gerecht werden kann. Wir möchten einen Stadtteil für die Wiesbadenerinnen und Wiesbadener entwickeln; hierzu müssen unserer Ansicht nach folgende Punkte Berücksichtigung finden:
- Das Ostfeld als l(i)ebenswerter neuer Stadtteil
Wir sehen die Notwendigkeit, durch die Schaffung von zusätzlicher Wohnbebauung Druck vom bereits lange angespannten Wohnungsmarkt in der Landeshauptstadt Wiesbaden zu nehmen. Dabei kommt dieser Druck nicht nur von außen mit Zuzugswünschen aus dem Umland in das Rhein-Main-Gebiet, sondern zu einem nennenswerten Teil auch aus der Wiesbadener Bestandsbevölkerung, die nach einem angemessenen Wohnumfeld strebt.
Die hohe Nachfrage, das knappe Flächenangebot und der Wunsch nach einem lebendigen Stadtteil erfordern eine dichte Bebauung, bei der wir uns an Innenstadtquartieren orientieren möchten. Dort wo hoch gebaut werden kann, sollte dies auch getan werden. Eine kompakt verdichtete Bauweise im Zentrum muss hierbei auch Einfamilien- oder Reihenhäuser in der Peripherie ermöglichen, um auch für größere Familien den Traum von Wohneigentum Wirklichkeit werden zu lassen. Bei der Planung des neuen Stadtteils ist darauf zu achten, dass die Einwohner den größten Teil ihrer täglichen Bedürfnisse im eigenen Stadtteil decken können.
Zur Schaffung eines identitätsstiftenden Ortes zum Leben und Arbeiten bedarf es eines attraktiven Angebots in einem echten lebhaften Ortsmittelpunkt, z.B. mit Sportstätten, religiösen Begegnungsstätten, Gastronomie und vielem mehr.
- Wiesbaden muss seinen Unternehmen Platz geben
Kurze Wege von der Wohnung zur Arbeitsstätte sind ein Garant für klimafreundliche Mobilität und erhöhen durch den geringen Zeitverlust, der auf das Berufspendeln entfällt, maßgeblich die Lebensqualität. Im Ostfeld selbst sind daher auch Möglichkeiten für Ansiedlungen von Kleinbetrieben, Handwerksunternehmen (z.B. in Handwerkerhöfen) und stillem Gewerbe vorzusehen. Ein ausgewogener Mix aus Wohnen, Gewerbe und Gastronomie ist unabdingbar für ein geselliges Gemeinleben in jedem Stadtteil – ob historisch gewachsen oder neu geplant.
Das Ostfeld muss aber auch Antworten auf den dringend benötigten Bedarf an zusätzlichen Gewerbeflächen für mittelständische Unternehmen in der LHW liefern. Daher ist das Gewerbegebiet südlich der Deponie mit seinem vollen Potential von 31,5 ha Gewerbefläche für mittelständische Betriebe parallel zur SEM mit zu planen und mit zu entwickeln. Die positiven Wirkungen ortsansässiger Handwerksbetriebe, die ebenfalls Betriebsflächen benötigen, sind nicht zu unterschätzen.
- Wiesbaden soll Behördenstandort bleiben – und die BKA-Flächen sichern
Die Landeshauptstadt Wiesbaden ist und bleibt ein verlässlicher, vertrauensvoller und sicherer Partner für Landes- und Bundesbehörden. Die Standortsicherung des Bundeskriminalamtes mit seinen bis zu 7.500 Bediensteten ist essenziell für unsere Landeshauptstadt. Die Entwicklung des geplanten Standortes nördlich der A66, an dem alle bisher in der Stadt verteilten Standorte konzentriert werden können, ist daher losgelöst von den Planungen zur Realisierung der Art und Weise der Wohnbebauung zügig voranzutreiben.
Die Unterbringung von weiteren Behörden auf dem Gebiet der Landeshauptstadt Wiesbaden, wie beispielsweise Polizei- und Sicherheitsbehörden, mit dem Ziel der Standortkonzentration oder mit Wünschen nach Standortwechseln ist mit besonderem Augenmerk auf weiteren Flächen im Ostfeld oder dem näheren Einzugsgebiet zu betrachten. Bei Wegfall von bereits ausgewiesenen Gewerbeflächen muss zwingend Ersatz außerhalb des Ostfeldes geschaffen werden.
Die durch die Standortkonzentration des BKA frei werdenden, im Stadtgebiet auf mehrere Standorte verteilten Flächen, bieten ein unschätzbar wertvolles Potenzial für eine Innenentwicklung, das wir nutzen wollen, um Wohnträume für alle Wiesbadener zu schaffen: lockere Bebauung mit Ein- und Zweifamilienhäusern oder Geschosswohnungsbau – jeweils im Kontext der Nachbarschaft der Konversionsflächen.
Die Planungen zur Nachnutzung der im Eigentum der öffentlichen Hand stehenden Flächen sind deshalb bereits jetzt aufzunehmen. Für diese bereits genutzten Bestandsflächen darf die geltende Quote von 40% für sozialen Wohnungsbau nicht bindend sein.
- Fußgänger IM Quartier – Schiene, Bus, Auto & Rad ZUM Quartier
Innerhalb des neuen Stadtteils soll sich vor allem zu Fuß fortbewegt werden. Für den Verkehrsfluss zum und vom Ostfeld sollen allerdings alle Verkehrsträger attraktiv nutzbar sein. Neben einer attraktiven ÖPNV-Anbindung müssen daher auch ausreichende Kapazitäten für eine Anbindung mittels des motorisierten Individualverkehrs vorgesehen werden.
So begrüßen wir die Einrichtung einer Radweg-Schnellverbindung in Richtung der Wiesbadener Innenstadt (und durch eine Fahrradbrücke auch nach Mainz) und ausreichender Parkflächen für Anwohnerinnen und Anwohner sowie Besucherinnen und Besucher, insbesondere durch den Bau von Quartiersgaragen.
Eine Schienenanbindung des Ostfeldes über die Theodor-Heuss-Brücke nach Mainz lehnen wir nicht zuletzt aus verkehrstechnischen Gründen ab.
Die Schienenanbindung des neuen Stadtteils soll unter Nutzung der bereits bestehenden, für den Regionalverkehr genutzten Bahntrassen erfolgen. Die in der Machbarkeitsstudie zum Ostfeld aufgeworfenen Perspektiven nach der Ablehnung der Citybahn durch die Wiesbadener Bürger, gilt es hier vertieft zu prüfen.
- Ein Stadtteil für alle
In allen Bevölkerungsschichten und Wohnformen gibt es Bedarf nach neuem Wohnraum ob z. B. im Eigentum, zur Miete oder im Genossenschaftsmodell. Diese Bedarfe sind bei der Planung der Art und Weise der Wohnbebauung zu berücksichtigen. Ansprechender und bedarfsgerechter Wohnraum ist für die Zufriedenheit der zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner in und mit ihrem Stadtteil, mit dem auch eine emotionale Verbindung hergestellt werden soll, zwingend notwendig. Die Möglichkeit für Wiesbadener Bürgerinnen und Bürger dort Wohnraum zu erwerben, muss daher gefördert werden, z.B. über sog. „Einheimischenmodelle“.
Die Attraktivität der Landeshauptstadt Wiesbaden für privates Kapital muss aufrechterhalten bleiben. Quoten für den sozialen Wohnungsbau erhöhen die Kosten für freifinanzierte Wohnungen erheblich und tragen durch damit einhergehende höhere Mieten zu einer weiteren Belastung der Wiesbadener Mittelschicht bei. Die Sozialbauquoten können daher nicht beliebig erhöht werden.
Die vom Linksbündnis angestrebte Quote von 40%-Sozialwohnungsbau ist deshalb lebensfern und würgt in der gesamten Stadt die Bauaktivität ab. Auch einer erfolgreichen Entwicklung des neuen Stadtteils steht sie entgegen. Angesichts der niedrigen Einkommensobergrenzen im geförderten Wohnungsbau, kann die notwendige soziale Durchmischung des Quartiers so nicht erreicht werden. Stattdessen drohen ähnliche Fehlentwicklungen wie bei den Großsiedlungen der 1970er-Jahre, die trotz erheblicher Anstrengungen bis heute nicht gänzlich beseitigt werden konnten. Eine Anwendung dieser Quote im Ostfeld lehnen wir daher strikt ab.
- Das Ostfeld als Vorbild für Klimaschutz und Baukultur
Der weit überwiegende Teil des Ostfeld-Projektes hat Freiraumfunktionen und ist somit prägendes Element für das Umgebungsbild. Jedoch sollen auch im neuen geschlossenen Ortsbereich grüne Elemente nicht zu kurz kommen, da diese die Aufenthaltsqualität stark erhöhen.
Das Ostfeld soll der Stadtteil werden, der als Klima-Vorbild über die Wiesbadener Stadtgrenzen hinaus Beachtung findet. Jede neugeschaffene Wohnung im Ostfeld wird deutlich energieeffizienter als der – auch in den letzten Jahren geschaffene – Wohnungsbestand sein und den CO2-Fußabdruck eines jeden Bewohners senken. Wir setzen uns für eine effiziente Nutzung von Brauchwasser sowie für Dach- und Fassadenbegrünung ein und fordern ein Starkregenmanagement. Klimazonen und Frischluftschneisen müssen entsprechend berücksichtigt werden.
Viele in der jüngeren Vergangenheit geschaffene Quartiere leiden unter phantasieloser Planung und mangelnder Baukultur. Aus unserer Sicht muss sich der neue Stadtteil durch eine inspirierende sowie einladende Architektur und Freiflächenplanung auszeichnen. Konzeptvergaben können – gezielt angewendet – dabei eine Rolle spielen. Die entsprechenden Wettbewerbe sind bereits frühzeitig auszuloben, um trotz der längeren Verfahrensdauer Verzögerungen zu verhindern.
- Akzeptanzmanagement jetzt!
Im Ostfeld entsteht der 27. Wiesbadener Stadtteil. Mit bis zu 12.000 Einwohnern wäre er der zehntgrößte Stadtteil insgesamt und der zweitgrößte Stadtteil im Wiesbadener Osten. Er benötigt daher die gleiche Infrastruktur wie die anderen Stadtteile (Schulen, KiTas, verkehrliche Anbindung, Vereinsstruktur usw.). Dieser Unterbau kann und soll nicht von anderen Stadtteilen wie Mainz-Kastel oder Erbenheim getragen werden. Es ist sicherzustellen, dass ein eigenständiger Stadtteil mit eigener Identität entsteht. Dies bedingt unmittelbar ein transparentes Akzeptanzmanagement in der Bevölkerung der angrenzenden Stadteile. Wir fordern daher angemessene Sport- und Freizeitflächen sowie entsprechende Einrichtungen, damit eine eigene Identifikation in dem Stadtteil entstehen kann. Denn: Das Ostfeld ist kein Satelliten-Stadtteil, sondern soll ein vollwertiger Stadtteil Wiesbadens werden. Wir fordern daher auch eine Beteiligung aller in der Stadtverordnetenversammlung vertretenen Fraktionen in der Lenkungsgruppe ein.
Um einen positiv besetzten und identitätsstiftenden Namen zu finden, schlagen wir einen zeitnahen öffentlichen Ideenwettbewerb zur Namensfindung vor.
Die Wiesbadener Landwirte werden ihrer Rolle als Nahversorger der hier lebenden Bevölkerung sehr gut gerecht. Rückblickend sind in der bisherigen Kommunikation viele Fehler gemacht worden, so dass wir die schnellstmögliche Einberufung eines „Runden Tisch“ mit den Landwirten, Grundstückseigentümern, Vertretern der Stadtpolitik und anderen Stakeholdern einfordern.
Zur Nachhaltigkeit gehört es auch, eine verbrauchernahe Versorgung sicherzustellen. Hier sind Lösungen zu finden, die es den Landwirten ermöglichen, in räumlicher Nähe zu ihrem bisherigen Betriebsfeld weiterhin Landwirtschaft zu betreiben. Eine starre Festlegung auf ausschließlich ökologische Landwirtschaft geht hier in die falsche Richtung.
Es müssen daher unmittelbar Gespräche mit den Landwirten und den Verbänden aufgenommen werden. Dabei sehen wir insbesondere die Stadtentwicklungsgesellschaft in der Pflicht. Es sollen wirtschaftlich tragfähige Lösungen für die Stadt und die Grundstückseigentümer gefunden werden. Enteignungen gilt es nach Möglichkeit zu vermeiden. Die Stadtpolitik sowie die SEG sind hier gefordert, alle Optionen auszuschöpfen, um innerhalb der SEM (außer-) gerichtliche Einigungen (z.B. durch Eventualforderungen oder Vergleiche) zu erzielen. Nur so kann verhindert werden, dass langwierige Gerichtsprozesse den Bau neuer Wohnungen sowie die Schaffung neuer Gewerbeflächen um Jahre verzögern und so auch die Zukunft des BKAs riskieren.
Die unklare Linie und die offenen Konflikte innerhalb des regierenden Linksbündnisses gefährden die Akzeptanz des Projekts Ostfeld in der Öffentlichkeit massiv. Denn der Erfolg des Projekts steht und fällt mit dem Rückhalt bei den Bürgerinnen und Bürgern, die teilweise noch von der Entwicklung des Ostfeldes zu überzeugen sind.